| Facetten. Auf den umgebenden Malereien sehen wir es jedoch meist wieder in einer Bezogenheit auf das Licht. Mal fungiert es als Fundament für aufstrebende Bildelemente, auf denen leuchtende Farben und spielerische Ordnung herrschen, mal fügt sich es im Zusammenspiel mit hellen Zonen zu integralen Momenten der Bildarchitektur. Die nachempfundene Grundform der Schießscharte öffnet sich auf die rückwärtige Wand des Ausstellungsraums. Dort finden wir ein Schlüsselsymbol zu Elke Suhrs Werk, das altgriechische Theta. Es wird geschrieben als Kreis mit einer horizontalen Teilungslinie. Alternative Schreibweisen aus der Antike zeigen es auch mit einem Kreuz oder Punkt in der Mitte, die die symbolische Bedeutung des Thetas als Weltganzes nahelegen. Geblieben ist schließlich nur der Kreis, unterteilt von einem Strich in zwei Sphären. Doch ist diese Grenze bei Elke Suhr nie absolut, denn sie ist als Schwelle gestaltet, die das Überschreiten der Grenze, den Übergang von der einen in die andere Sphäre bereits impliziert. Dieses Zwiefältige durchzieht als roter Faden fast alle Arbeiten Elke Suhrs, häufig auch in Form von Richtungsvektoren, die z.B. gebildet werden von den Bildecken der um 45° gedrehten Leinwände, deren Flächen zudem fast immer in eine obere und untere Zone unterteilt sind. So erleben wir in der gegenwärtigen Ausstellungen zahlreiche Variationen der unabdingbaren Verbindung von Licht und Dunkelheit, deren Opposition nie zu einem zoroastrischen Krieg zwischen Gut und Böse ausufert. Vielmehr wird ihre Polarität als ein Zusammenspiel gezeigt, durch das sie sich gegenseitig hervorbringen und konstituieren, ganz ähnlich dem ursprünglichen Dunkel der paläolithischen Jäger, das sowohl der Ort des Todes, als auch der Ort der Wiedergeburt war. Als Schlußwort möchte ich ein Zitat des japanischen Schriftstellers Tanizaki Jun‘ichirō wählen, das aus seiner ästhetischen Schrift „Lob des Schattens“ stammt. |
Zwar nennt er ein ganz konkretes
Beispiel, um die Bedeutung des Zusam-menwirkens von
Licht und Schatten in der Dingwelt zu erläutern, doch
kann man es auch als einen Fingerzeig lesen, wie auch
wir unser inneres Dunkel als notwendigen Bestandteil
unseres Erfahrungsraums wahrnehmen können, nämlich als
einen Ort oder Zustand, in den wir gegebenenfalls
hinabsteigen müssen, um dort eine Erneuerung und
Vervollständigung des Lebens zu bewirken: eine
Notwendigkeit, um das Licht in Erscheinung treten zu
lassen.
„Wie ein phosphoreszierender Stein, der im Dunkel glänzt, aber bei Tageshelle jeglichen Reiz als Juwel verliert, so gibt es ohne Schattenwirkung keine Schönheit.“ © Dr. phil. Thomas Piesbergen / VG Wort, November 2021 Literatur: • Die große Lutherbibel, Stuttgart, 1975 • Joseph Campbell, Die Masken Gottes Bd.2, Mythologie des Ostens, Nördlingen 1996 • Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur, in: Gesammelte Werke, Köln, 2014 • Alasdair Gray, Lanark, Rogner & Bernhard, 1992 • Brigitte Groneberg, Die Götter des Zweistromlandes, Stuttgart, 2004 • Byung-Chul Han, Transparenzgesellschaft, Matthes & Seitz, Berlin 2012 • Tanizaki Jun’ Ichirō, Lob des Schattens, Manesse, Zürich, 1987 |
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